Wie Gott in Frankreich

Rémy Martin

Vom Tellerwäscher zum Millionär, so geht die Geschichte in den Vereinigten Staaten. Im französischen Cognac ist es der Winzer, der es zur weltweiten Spirituosen-Ikone schafft. Rémy Martin ist nicht nur einer davon. Er ist der Begründer eines Mythos.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in: DRINKS 02/2020

 

VON JULIANE EVA REICHERT

Man stellt es sich so schön vor: Der junge Rémy steht mit einer Vorstufe des Gummistiefels im Feld und malt sich aus, wie er einmal reich und berühmt wird: „Dem König muss der Cognac schmecken, dann hab ich’s geschafft.” Damals wie heute, auf die richtigen Influencer kommt es an. Und dann läuft die Sache – König Ludwig XV. schmeckt’s, und so erlaubt er trotz des im Jahr 1731 in Kraft getretenen Verbots, dass der ehrgeizige und ambitionierte Winzer seine eigenen Weinreben anbauen darf. Wenn da mal nicht auch ein Quäntchen Eigennutz dabei gewesen sein mag …

 

Über drei Generation wurde das Unternehmen aufgebaut, hier mit mehr Führungsbefähigung, dort mit weniger, bis Anfang des 20. Jahrhunderts schließlich ein Jurist namens André Renaud aus der Grande Champagne daher kommt und mit gereiften Spitzenqualitäten in Top-Lagen Cognac kreiert, der das Unternehmen komplett umstrukturiert. In seinem Fall lautet die Geschichte „Vom Kellermeister zum Vorsitzenden”.

 

Zwar hatte bereits in den Generationen zuvor Paul Emile Rémy Martin mit dem Single-Cru-Cognac Louis XIII. einen Coup in der Cognac-Welt geschlagen: Mit einem Reifungsprozess von mitunter hundert Jahren und Trauben aus ausschließlich der Grande Champagne hat dieser Cognac dem Haus weltweiten Respekt erworben. Nichtsdestotrotz ging das Unternehmen unter ihm Bankrott. Das alte Lied von Hochmut und Fall.

 

Da kommt also Renaud, tut das, was man heute Crowdfunding nennen würde und rettet ein Unternehmen, das in den Neunzigern schließlich mit Cointreau fusionieren sollte. Mit Renaud und seinem Schwiegersohn André Hériard Dubreuil hatte man im Unternehmen begonnen, sich den Begriff von Werbung und Wirtschaft zu nähern: Um den Bedarf nachhaltig zu sichern, schloss man Verträge mit Winzern und neben Exporten in die USA und nach Hongkong fanden sich auf der ganzen Welt Regierungsoberhäupter, die Fine Champagne Cognac öffentlich goutierten. Wie gesagt, die Sache mit den Influencern funktionierte einfach immer schon.

 

"Um den Bedarf nachhaltig zu sichern, schloss man Verträge mit Winzern und neben Exporten in die USA und nach Hongkong fanden sich auf der ganzen Welt Regierungsoberhäupter, die Fine Champagne Cognac öffentlich goutierten. Wie gesagt, die Sache mit den Influencern funktionierte einfach immer schon."

Und obwohl die Entwicklung der heutigen Marke Rémy-Cointreau zeigt, dass Geschichte nicht immer dröge sein muss, wollen wir nun zum wohlverdienten Teil des Trinkens kommen. Auf dem Tisch haben wir einige Flagschiffe des Unternehmens stehen, die da wären: besagter Very Special Old Pale. Mit 55 Prozent Eau-de-vie aus der Grande Champagne und dem Rest aus der Petite Champagne reift der Cognac etwa sieben Jahre im Eichenfass, was die feinen Vanille- und Nussnoten erklärt. Hinzu kommt ein deutlicher Ton reifer Aprikose im Mund, Blumenwiese in der Nase und einem warmen Abgang voll Schokolade und Süßholz. So schafft man Standards, und so bringt man ein Unternehmen auf den Weg zum Global Player und ein weltweites Netzwerk aus Vertriebspartnern an den Start: die „Rémy Associés”. Nur in Europa erhältlich ist der VSOP „MCF”, also Mature Cask Finish, welcher seit 2012 den 1927 kreierten VSOP ersetzt. Er ist etwas leichter und fruchtiger als das Original und schmeckt nach Veilchen und Vanille, Rhabarberkompott und Rose. Preislich geht es von hier aus rasant nach oben, die Flaschen werden wilder und die Inhalte älter.

 

Jean-Marie Bernard: Gut gelaunt und stets an der Brennblase; er bestimmt, wann das aromatische „Coeur de Cognac” gefunden ist.
Jean-Marie Bernard: Gut gelaunt und stets an der Brennblase; er bestimmt, wann das aromatische „Coeur de Cognac” gefunden ist.

Ein Teil der Trauben für die Cognacs aus dem Hause Rémy Martin kommt aus dem privaten Weingut des Hauses, namentlich der „Domaine Rémy Martin”. Wer den Geruch von Fässern mag, hat hier übrigens seine Destination gefunden; und freundet sich bestenfalls direkt mit dem gut gelaunten und seit 1981 hier tätigen Master Distiller Jean-Marie Bernard an. Er und seine Crew legen den Fokus klar auf den XO, für den durch Kellermeister Bapstiste Louiseau 350 verschieden alte Bränden kredenzt und 37 Jahre lang gelagert werden. „Zuerst erscheint der XO sehr blumig und fruchtbetont. Sobald das Eis anfängt zu schmelzen, treten die opulenten Aromen in den Hintergrund und geben den Weg für völlig neue Aromenschichten frei”, so Louiseau. Schmecken tut’s nach Pflaume, kandierter Orange und einem Hauch von Haselnuss und Zimt.

 

Das Unkonventionelle ist die Handschrift des Hauses. Das fängt schon bei den Destillierkolben an, die deutlich kleiner sind als vorgeschrieben, in der Region auch bekannt als „Großmutters Methode”; und, wie so oft, wird es ohne Hast eben einen Ticken besser. Weiter geht es mit den Fässern, denn auch diese sind mit weitaus dünneren Wänden ausgestattet, so dass die Atmung des Fasses beschleunigt wird. Einmal eine Rémy-Lagerhalle betreten, ist es sehr einfach, sich in einen der sich im Fass befindlichen Cognacs hineinzufühlen. So man sich ja so gut wie im gleichen Raum mit ihm befindet.

 

Gute Aussichten für Bernard, der quasi immer schon bei Rémy Martin ist: „Ich konnte mir nie etwas anderes vorstellen.”
Gute Aussichten für Bernard, der quasi immer schon bei Rémy Martin ist: „Ich konnte mir nie etwas anderes vorstellen.”

Nicht durch alle Abfüllungen hindurch, beim Gedanken an Rémy Martin aber schwer aus dem Kopf zu kriegen, ist die runde Flaschenform – die Hommage an einen Schlachtfund aus dem 16. Jahrhundert. Der König und die Kugelflasche, darum dreht es sich im Prestige des Cognacs Rémy Martins – und das auf deutlich weniger oberflächliche Weise, als man das zunächst vermuten möchte. Was aufgrund von ambitionierter Zielsetzung seitens des Winzers Rémy Martin einerseits herangewachsen war, durch Zahnfleisch und Zerwürfnisse seitens der Folgegenerationen im Unternehmen hinfort getragen wurde, findet seine Wurzel in einem zufälligen Fund in Jarnac: Während der Schlacht von Jarnac hat man nämlich eine von königlichen Fleur-de-Lys-Ornamenten verzierte Feldflasche gefunden. In puncto regionale Identität plus königlicher Kooperation ist in diesem Fund die Marke bereits erklärt.

 

Rémy Martin, das ist eines der frühesten Startups, die verstanden haben, wie die Kombination aus Craft, Storytelling und Networking funktioniert, bloß ohne Hashtags und ganz französisch.

 

www.remy-cointreau.com

www.lateltin.com

 

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